Archive for the 'Zivilprozessrecht' Category

10
Apr
10

Wenn der Gerichtsvollzieher das Auto holen will

Der Bundesgerichtshof musste sich zur Frage nach der Pfändbarkeit eines Kraftfahrzeugs, das der Ehegatte des Schuldners zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit benötigt, äußern.

Grundsätzlich gehören Autos zum pfändbaren Vermögen.  Eine Ausnahme macht hier lediglich der § 811 ZPO. Dieser bestimmt die unpfändbaren Sachen. In  seiner Nummer 5 heißt es :

„5. bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände;“

Es ist gesichert, dass das Auto zu diesen Gegenständen zu zählen ist, wenn dies zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlich ist.  Ein Kraftfahrzeug ist  für die Beförderung allerdings regelmäßig dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Dies ist im Einzelfall gesondert zu betrachten. Allerdings ist zu beachten, dass wegen der schlechten  Verkehrsanbindung im ländlich geprägten Gebiet solches in der Regel nicht der Fall ist.

In dem Fall, der dem  VII. Zivilsenat zur Entscheidung vorlag, gehörte das Auto der Ehefrau. Diese war erwerbsunfähig und hatte nur eine kleine Rente. Gleichwohl hatte sie Schulden in Höhe von ca. EUR 2500 bei einer Gläubigerin.

Diese betrieb die Zwangsvollstreckung – in eben diesen PkW. Dieser wurde aber vom Ehemann benötigt, um damit zu seinem Arbeitsplatz zu kommen.

Der BGH hat nun entschieden, dass diese Norm nicht nur den Schuldner schützt, der seine Erwerbstätigkeit aufrecht erhalten können muss, sondern auch die Familie.

Damit ist ein Kraftfahrzeug, das der Ehegatte des Schuldners zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit benötigt, unpfändbar.

Das Gericht hat hierzu ausgeführt:

Durch eine Pfändung dieser Gegenstände wäre die wirtschaftliche Existenz der Familie in gleicher Weise gefährdet wie durch Pfändung beim erwerbstätigen Schuldner.

Aus diesem Grunde ist es zweitrangig, welcher Ehegatte den zu pfändenden Gegenstand für seine Erwerbstätigkeit benötigt

Im Rahmen des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO spielt diese Frage aber nach Meinung des Gerichtes keine Rolle.

Beschluss vom 28. Januar 2010 – VII ZB 16/09

AG Nordhausen – Beschluss vom 26. November 2008 – 2 M 1320/08

LG Mühlhausen – Beschluss vom 28. Januar 2009 – 2 T 286/08

03
Okt
07

Der Ausgleichsanspruch des Tankstellenpächters

Wenn ein Mineralölunternehmen eine Tankstelle an einen Menschen verpachtet und dieser damit diese selbständig betreibt, dort für die Verpächterin Kraftstoffe und Schmierstoffe vertreibt, dann ist er als Handelsvertreter einzuordnen.

Wenn nun dieses Vertragsverhältnis beendet wird, hält das Handelsrecht bestimmte Regeln vor. So gibt es unter anderem auch den Handelsvertreterausgleich. Geregelt ist dieser im § 89b HGB:

㤠89b
(1) 1Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit

1.der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,
2.der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und
3.die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
2Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.

(2) Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend.

(3) Der Anspruch besteht nicht, wenn

1.der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, daß ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlaß gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder
2.der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag oder
3.auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt; die Vereinbarung kann nicht vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden.
(4) Der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. 2Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen.
(5) Die Absätze 1, 3 und 4 gelten für Versicherungsvertreter mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, die Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Versicherungsvertreter tritt und der Vermittlung eines Versicherungsvertrages es gleichsteht, wenn der Versicherungsvertreter einen bestehenden Versicherungsvertrag so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht. 2Der Ausgleich des Versicherungsvertreters beträgt abweichend von Absatz 2 höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. 3Die Vorschriften der Sätze 1 und 2 gelten sinngemäß für Bausparkassenvertreter.“

Der auch für das Handelsvertreterrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat jetzt seine Rechtsprechung zum Anspruch des Tankstellenhalters auf diesen Handelsvertreterausgleich fortgeführt.

Maßgeblich ist in dieser Konstellation nämlich die Bestimmung des Anteils der Stammkunden einer Tankstelle, denn hiervon hängt im Wesentlichen die Höhe der zu zahlenden Ausgleichsbetrages ab.

Dem Gericht lag folgender Sachverhalt zur Prüfung vor:

Herr A betrieb über 10 Jahre hinweg eine Tankstelle. Diese hatte er Anfang 1992 von der B gepachtet. Das Pachtverhältnis dauerte bis zum Ende des Jahres 2002. Für die B vertrieb er in dieser Tankstelle als Handelsvertreter Kraftstoffe und Schmierstoffe. Nachdem das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien beendet worden war, hat Herr A einen Ausgleichsanspruch in Höhe einer Restforderung von EUR 48.927,04 geltend gemacht.

Dies begründete er damit, dass er angeblich 90% seines Umsatzes mit Stammkunden erzielt habe. Um seine Zahlen zu untermauern, konnte er sich auf eine Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie Allensbach stützen.

Die B focht diese Berechnung nicht an. Sie bestritt diesen Anspruch und verwies darauf, dass von ihr Kartenumsätze der Kunden elektronisch erfasst worden seien. Eine Auswertung dieser Daten lasse einen Stammkundenanteil von allenfalls rund 38% schätzen.

Das Gericht stand damit vor mehreren Fragen.

So war in diesem Zusammenhang zu klären, wann ein Tankstellenkunde überhaupt als Stammkunde anzusehen ist.

Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, dass als Stammkunden eines Tankstellenhalters im Allgemeinen die Kunden angesehen werden können, die mindestens vier Mal im Jahr bei ihm getankt haben. Das Gericht geht hierbei von einem Tankvorgang je Quartal aus. Abgrenzungskriterium ist die Frage, ob ein Kunde eine Tankstelle zufällig oder aber gezielt aufsucht. Hier hat sich das Gericht zu der Auffassung durchgerungen, dass beim vierten Tanken innerhalb eines Jahres in der Regel die Annahme berechtigt sei, hier habe eine gezielte Anfahrt stattgefunden. Dies lässt weiter darauf schließen, dass zwischenzeitlich deswegen eine Bindung des Kunden an die Tankstelle besteht.

Die weitere Frage war nun die, auf welchen Grundlagen die Anzahl der Stammkunden ermittelt werden kann oder muß.

Auszugehen ist hier zunächst von der Frage, wen die Darlegungs- und Beweislast für diese Fragestellung trifft. Dies ist grundsätzlich derjenige, der den Anspruch geltend macht, also hier der Tankstellenpächter.

Hier hatte dieser sich auf die repräsentative Umfrage aus Allensbach gestützt. Dies durfte er auch grundsätzlich machen, entschied das Gericht. Denn ihm standen keine anderen Daten zur Verfügung, die ihm eine individuellere Schätzung des Stammkundenanteils ermöglicht hätten.

Das Gericht führte aber weiter aus, dass das Mineralölunternehmen gleichfalls berechtigt sein muss, diesen Zahlen entgegentreten zu können. Dies kann auf den nur dem Unternehmen vorliegenden Daten zu den Zahlungsvorgängen geschehen. Diese Daten sind grundsätzlich geeignet, eine genauere Schätzung des Stammkundenanteils vorzunehmen.

Im konkreten Falle hatte der Herr A aber genau die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Daten bestritten gehabt. Aus diesem Grunde hätte das Berufungsgericht diese nicht ohne weiteres zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfen. Vielmehr hätte deswegen die Richtigkeit und Vollständigkeit gutachterlich durch einen Sachverständigen geprüft werden müssen.

Schließlich war ausserdem darüber zu entscheiden, wie es sich auf den Ausgleichsanspruch auswirkt, wenn der niedrige Preis des Kraftstoffs eine die Verkaufsbemühungen des Tankstellenhalters fördernde „Sogwirkung“ auf die Kunden ausübt.

Hier stand deswegen die Frage im Raum, ob eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein könnte.

Diese Frage hat der BGH bejaht. Die Preisgestaltung durch das Mineralölunternehmen ist als Grundlage dieser Sogwirkung anzusehen. Der Handelsvertreterausgleichsanspruch aber fußt auf dem Gedanken, dass der Handelsvertreter für seine Bemühungen, die auch nach der Vertragsbeendigung dem Unternehmen zukommen, einen Ausgleich erfahren sollte. Daher ist ein entsprechender Billigkeitsabschlag vorzunehmen.

Nachdem die Sache noch einer weiteren Aufklärung bedarf, war die Angelegenheit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

Dieses wird sodann den Stammkundenumsatzanteil erneut schätzen und nochmals einen Billigkeitsabschlag unter dem Gesichtspunkt einer „Sogwirkung“ des Preises zu erwägen haben.

Urteil vom 12. September 2007 – VIII ZR 194/06

LG Hamburg – Urteil vom 4. August 2004 – 418 O 89/04 ./. OLG Hamburg – Urteil vom 23. Juni 2006 – 1 U 147/04

27
Sept
07

Vorläufiges Berufsverbot eines Rechtsanwalts

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, was passiert, wenn im laufenden Verfahren der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt seinen Beruf verliert.Herr A führte einen Prozess vor dem Arbeitsgericht. Für dieses Verfahren beauftragte er den Rechtsanwalt R mit der Wahrnehmung seiner Interessen. In erster Instanz ging der Prozess verloren, dem Rechtsanwalt R wurde das klagebweisende Urteil zugestellt. Gegen hätte Berufung eingelegt werden können. Der Grundsatz hierfür findet sich in § 64 ArbGG:

„ 64 Grundsatz

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

….“

Die Berufungsfrist begann mit der Zustellung des Urteils zu laufen, dies ist im § 66 ArbGG geregelt:

§ 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung

(1) 1Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. 2Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. 3Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. 4Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. 5Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.“

Während dieser Frist geschah nun etwas, was erhebliche Auswirkungen auf den Fortgang des Verfahrens hatte.

Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf hatte nun den Widerruf der Zulassung des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts R verfügt. Diese Verfügung kam einem vorläufigen Berufsausübungsverbot gleich. Rechtsanwalt R war es fortan untersagt, als Rechtsanwalt tätig zu werden. Dies ergibt sich aus § 155 BRAO:

㤠155 Wirkungen des Verbotes

(1) Der Beschluß wird mit der Verkündung wirksam.

(2) Der Rechtsanwalt, gegen den ein Berufsverbot verhängt ist, darf seinen Beruf nicht ausüben.

(3) Der Rechtsanwalt, gegen den ein Vertretungsverbot (§ 150 Abs. 1) verhängt ist, darf nicht als Vertreter und Beistand in Person oder im schriftlichen Verkehr vor einem Gericht, vor Behörden, vor einem Schiedsgericht oder gegenüber anderen Personen tätig werden oder Vollmachten oder Untervollmachten erteilen.

(4) Der Rechtsanwalt, gegen den ein Berufs- oder Vertretungsverbot verhängt ist, darf jedoch seine eigenen Angelegenheiten, die Angelegenheiten seines Ehegatten oder Lebenspartners und seiner minderjährigen Kinder wahrnehmen, soweit nicht eine Vertretung durch Anwälte geboten ist.

(5) 1Die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts wird durch das Berufs- oder Vertretungsverbot nicht berührt. 2Das gleiche gilt für Rechtshandlungen, die ihm gegenüber vorgenommen werden.“

Er unterrichtete daher auch nicht Herrn A vom klageabweisenden Urteil. Von diesem erfuhr er erst nach Ablauf der Berufsungsfrist – also zu spät.

Herrn A blieb noch eine weitere Möglichkeit: Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der § 46 ArbGG verweist insoweit auf die entsprechenden Vorschriften der ZPO:

㤠46 Grundsatz

(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) 1Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. 2Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. 3§ 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.“

Die Wiedereinsetzung findet sich sodann im § 233 ZPO:

㤠233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde, der Rechtsbeschwerde oder der Beschwerde nach §§ 621e, 629a Abs. 2 oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.“

Das Landesarbeitsgericht sah aber diese Voraussetzungen nicht für erfüllt an und verwarf daher die eingelegte Berufung als unzulässig.

Das Problem, das sich beim Wiedereinsetzungsantrag stellte, war die Frage, ob das Verschulden des Rechtsanwalts dem Herrn A zugerechnet werden konnte oder nicht. Maßgeblich ist die Vorschrift des § 85 II ZPO:

„85 Wirkung der Prozessvollmacht

(1) 1Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. 2Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.“

Die Revision des Herrn A gegen die Verwerfung der Berufung hatte hingegen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit der Berufung bejaht. Es führte hierzu aus, dass die Fristversäumnis nach Verhängung des Berufsverbots gegen den Prozessbevollmächtigten nicht mehr zugerechnet werden könne.

Die Begründung hierfür ergibt sich aus dem § 155 BRAO. Die Wirkung des vorläufigen Berufsverbots führt dazu, dass der Rechtsanwalt auch nicht mehr Bevollmächtigter seiner Partei ist. Aus diesem Grunde geht die Zuweisungsregel des § 85 ZPO denn auch ins Leere. Weil die Wirkung des § 155 BRAO umfassend ist und die Rechtsfolgen hier eindeutig geregelt sind, kann es auch letztlich nicht auf die Gründe des Zulassungswiderrufs ankommen.

Herr A habe die Fristversäumung auch nicht selbst verschuldet. Von daher war Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2007 – 5 AZR 848/06 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 24. April 2006 – 14 Sa 57/06 –

22
Aug
07

Bundesgerichtshof zum Einsatz des nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erlangten Vermögens für die Prozesskosten

Der Bundesgerichtshof hat jetzt in einer wichtigen Frage zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klarheit gesorgt.

Damit einer Partei im Prozess Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, ist zunächst ein Antrag an das Gericht nötig.

Darüber hinaus hat das Gericht dann die materiellen Voraussetzungen zu prüfen. Hier unterscheiden wir zwischen den subjektiven und den objektiven Voraussetzungen.

Bei den Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zwischen formellen und materiellen Voraussetzungen zu unterscheiden, wobei die materiellen Voraussetzungen in subjektive und objektive aufgeteilt werden können.

Die ovjektiven Voraussetzungen sind gegeben, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Erfolgsaussicht bietet und nicht mutwillig erscheint. Das steht so im Gesetz,nämlich im Satz 1 des § 114 der Zivilprozessordnung:

㤠114 ZPO РVoraussetzungen
1Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.“

Die subjektiven Voraussetzungen ergeben sich aus der selben Vorschrift, nämlich die Bedürftigkeit der antragstellenden Partei, deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse es ihr nicht gestatten, die Kosten der Prozessführung ohne weiteres aufzubringen. Grundlage der Beurteilung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist § 115 ZPO.

„§ 115 ZPO – Einsatz von Einkommen und Vermögen
(1) 1Die Partei hat ihr Einkommen einzusetzen. 2Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert….“
Absatz 3 dieser Vorschrift regelt hierbei den Vermögenseinsatz:

„(3) 1Die Partei hat ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. 2§ 90 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.“

Der Verweis ins SGB XII zeigt, dass hier entsprechend dem Sozialhilferecht verfahren werden soll. Neben dem Grundsatz des Einsatzes des gesamten verwertbaren Vermögens gibt es hier im Absatz 2 und 3 eine Reihe von Ausnahmen, die entsprechend bei der Gewährung von PKH beachtet werden müssen:

„§ 90 SGB XII – Einzusetzendes Vermögen
(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.

(2) 1Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

1.
eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2.
eines Kapitals einschließlich seiner Erträge, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde,
3.
eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und § 72) oder pflegebedürftiger Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4.
eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5.
von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6.
von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7.
von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8.
eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. 2Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9.
kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.

(3) 1Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. 2Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.“

Streitig war nun lange die Frage, was mit Vermögen geschieht, das erst nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe erlangt wird.

Diese Frage lag nun dem XII. Zivilsenat des BGH zur Beantwortung vor. Dieser Senat ist unter anderem für Familiensachen zuständig. Hier ist diese Fragestellung besonders virulent, da häufig erst nach erfolgreichem Rechtsstreit im Zugewinnverfahren der bis dahin bedürftigen Partei Vermögen im Rahmen des Zugewinnausgleichs zuwächst.

So war es auch in dem nun entschiedenen Fall, wobei dieser noch die Besonderheit aufwies, dass es nicht um die Prozesskostehhilfe für das güterrechtliche Verfahren ging, sondern um das parallel betriebene Unterhaltsverfahren:

Die Ehe der Parteien war zwischenzeitlich geschieden worden. Trennungs- und Kindesunterhalt war noch nicht geklärt. Die Parteien lagen hierüber im Streit. Der Klägerin war für diesen Rechtsstreit PKH mit monatlichen Raten von EUR 30,00 gewährt worden. Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich.

Das güterrechtliche Verfahren zog sich noch hin. Die Ehefrau erstritt sich hier einen Zugwinnausgleichsanspruch in Höhe von ca. EUR 40.000,00.

Das Gericht ordnete sondann die Zahlung aller fälliger Kosten an, indem es die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe entsprechend abänderte.

Das wiederum sah die zwischenzeitlich geschiedene Ehefrau nicht ein, hatte sie doch das Geld aus dem Zugewinnausgleich für den Kauf einer Eigentumswohnung aufgewendet.

Nach § 120 Abs. 4 ZPO kann das Gericht die Entscheidung innerhalb von vier Jahren ab Beendigung des Verfahrens ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben.

„(4) 1Das Gericht kann die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben; eine Änderung der nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchstabe b und Nr. 2 maßgebenden Beträge ist nur auf Antrag und nur dann zu berücksichtigen, wenn sie dazu führt, dass keine Monatsrate zu zahlen ist. 2Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. 3Eine Änderung zum Nachteil der Partei ist ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind.“

Bei der Bemessung ist – wie bei der Gewährung der PKH – auf die oben bereits genannten Kriterien abzustellen. Hier führt die Prüfung – weil eine Eigentumswohnung angeschafft worden war – wieder über den § 90 des SGB XII.

Hier findet sich in Absatz 2 in der Nummer 8 die Regelung, dass ein schon vorhandenes angemessenes Hausgrundstück, das von der bedürftigen Partei allein oder mit Angehörigen bewohnt wird, privilegiert ist.

Diese Regelung ist nicht einschlägig, wenn das Hausgrundstück erst mit später erworbenem Vermögen erworben wird, da es noch nicht vorhanden ist.

Wenn das Kapital zur Beschaffung eines Hausgrundstückes eingesetzt wird, so hilft die Nummer 3 weiter: Demzufolge bleibt das Vermögen dann unberücksichtigt, wenn es zu Wohnzwecken behinderter oder pflegebedürftiger Menschen eingesetzt werden soll.

So war es aber im zu entscheidenden Falle nicht.
In der Literatur und in Teilen der Rechtsprechung wurde zwar bislang die Auffassung vertreten, dass ein nachträglich erlangtes Vermögen generell dann nicht mehr für die Prozesskosten herangezogen werden kann, wenn damit ein „privilegiertes Hausgrundstück“ erworben wurde, bevor eine Erstattung der Verfahrenskosten im konkreten Fall angeordnet war. Mit dieser Argumentation wäre die Eigentumswohnung nach der Nummer 8 privilegiert gewesen.

Der Bundesgerichtshof hat aber entschieden, dass der spätere Kauf der Eigentumswohnung nichts an der Verpflichtung ändert, das erlangte Vermögen vorrangig für die Prozesskosten einzusetzen.

Dass Gericht stützt seine Auffassung auf die Regelung des § 120 Abs. 4 ZPO. Diese besagt, dass bis zum Ablauf von vier Jahren seit Abschluss des Verfahrens mit einer Änderung der bewilligten Prozesskostenhilfe zu rechnen ist. Die bedürftige Partei muss sich also darauf einstellen. Es besteht also insoweit kein Vertrauensschutz in die Gewährung. Hieraus folgt, dsas es der bedürftigen Partei versagt ist, einsetzbares Vermögen dem absehbaren Zugriff für die Prozesskosten zu entziehen.
Daher musste hier das erlangte Geld weiter vorrangig für die Prozesskosten eingesetzt werden.

Beschluss vom 18. Juli 2007 XII ZA 11/07

AG Ulm – 2 F 1252/03 – Entscheidung vom 12.1.2007

OLG Stuttgart – 8 WF 20/07- Entscheidung vom 22.03.2007

09
Mär
07

Bundesarbeitsgericht zur Falschbezeichnung der Beklagten im Kündigungsrechtsstreit

Eine Falschbezeichnung schadet nicht, falsa demonstratio non nocet nannten das schon die alten Römer. Kritisch wird das Ganze aber, wenn es um die Passivlegitimation geht. Das ist die Frage, ob überhaupt der richtige Gegner in der Klageschrift bennant wurde.

Der Klage steht das Rubrum vorne an – auch so eine Errungenschaft aus der Rechtsgeschichte. Im Rubrum stehen die Parteien des Rechtsstreites – in alter Zeit mit rotem Stift geschrieben. Heute in aller Regel schwarz und von einem Drucker zu Papier gebracht – der Name hat sich aber erhalten.

Im Rubrum der Klageschrift steht nun also, wer hier gegen wen einen Prozess zu führen gedenkt. Der Beklagte bekommt dann die Klageschrift zugestellt, damit wird das Ganze rechtshängig. Ist nun der falsche Beklagte benannt, so ist durchaus fraglich, ob es sich hier noch um eine falsa demonstratio handelt – oder ob nicht vielmehr der Prozess alleine deswegen verloren geht, weil die Ansprüche gegen den Beklagten nicht bestehen.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Klagefristen zu beachten sind. Wenn der erste Prozess deswegen verloren ist, kann es für einen gegen den eigentlich richtigen Gegner unter Umständen schon zu spät sein.

In dem vom BAG zu entscheidenden Falle handelte es sich um eine Kündigungsschutzklage. Herr A war seit annähernd 30 Jahren in dem selben Architekturbüro in S. als Architekt angestellt.

Bei der Abnahme von Rohbauarbeiten soll er angeblich Fehler gemacht haben. Dies nahm die Arbeitgeberin zum Anlass, ihm mit Schreiben vom 19.03.2003 fristlos und hilfsweise fristgerecht zu kündigen.

Das Architekturbüro firmierte seit dem Jahre 2001 unter „N. + Partner Architekten“. Sie ist also eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG.

Das Kündigungsschreiben war auf dem Briefbogen mit Briefbogen der Gesellschaft gefertigt worden und war von einem Partner unterzeichnet worden.

Herr A war mit der Kündigung nicht einverstanden und erhob Kündigungsschutzklage – diese ging bereits drei Tage später beim zuständigen Arbeitsgericht ein.

Im Rubrum standen aber als Beklagte die Herren N und M, die Partner der Partnerschaftsgesellschaft.

Das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Teile – und so stellte sich die Frage, ob hier lediglich eine falsche Parteibezeichnung vorlag – falsa demonstratio – oder sich die Klage gegen die Falschen richtete. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung in der Klageschrift ist unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen berichtigt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun hierzu ausgeführt, dass genau und „besonders sorgfältig“ geprüft werden müsse, wer denn nun eigentlich gemeint sei. Ergibt sich in einem Kündigungsrechtsstreit etwa aus dem der Klageschrift beigefügten Kündigungsschreiben, wer als beklagte Partei gemeint ist, so ist eine Berichtigung der Parteibezeichnung regelmäßig möglich. Dies gelte auch, wenn der Arbeitgeber eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG ist und im Rubrum nicht die Gesellschaft sondern nur deren einzelne Partner genannt sind.

Das Arbeitsgericht hat schon im Gütetermin die Parteien darauf hingewiesen, eine Berichtigung der Parteibezeichnung sei seiner Ansicht nach möglich.
Auf diesen richertlichen Hinweis hat der Kläger erstinstanzlich die Rubrumsberichtigung zunächst hilfsweise, später ausschließlich beantragt.

Dies geschah nach Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG.

Das Arbeitsgericht hat sodann das Rubrum durch Beschluss berichtigt und der Klage hinsichtlich der fristlosen Kündigung stattgegeben.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage dann aber wegen Versäumung der Klagefrist insgesamt abgewiesen.

Das Bundesarbeitsgericht ist aufgrund der oben angestellten Überlegungen von einer rechtzeitigen Klageerhebung gegen die Partnerschaftsgesellschaft ausgegangen. Es hat den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit die Kündigungsgründe aufgeklärt werden können.

BAG, Urteil vom 1. März 2007 – 2 AZR 525/05 –
Vorinstanz: Hessisches LAG, Urteil vom 12. August 2005 – 17/10 Sa 2021/03 –

09
Feb
07

Bundesgerichtshof erleichtert die Durchsetzung des Pfändungsschutzes für Sozialleistungsempfänger

Bundesgerichtshof erleichtert die Durchsetzung des Pfändungsschutzes für Sozialleistungsempfänger

Herr A hatte Schulden. Seine Gläubigerin hatte einen Schuldtitel in der Hand. Nachdem Herr A nicht freiwillig zahlen konnte, ging sie den üblichen Weg: Sie erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Dieser betraf das Bankkonto des Herrn A.

Herr A bezog nun Leistungen nach dem SGB II, also Hartz IV. Diese Zahlungen in Höhe von EUR 742,50 gingen auf dem nunmehr gepfändeten Konto ein.

Nun ist es ja so, dass nicht alles und jedes weggepfändt werden kann. Auch dem Schuldner muss ein Existenzminimum bleiben. Deswegen hat der Gesetzgeber in § 850c ZPO die Pfändungsfreigrenzen geschaffen. Dies betrifft ausdrücklich nur Arbeitseinkommen. So ist der Wortlaut des Gesetzes.

Nun könnte man ja auf die Idee kommen, dass Sozialleistungen grundsätzlich pfändungsfrei sein sollten. Schließlich handelt es sich ja um Leistungen der Allgemeinheit zur Unterstützung in einer Notsituation – und diese Steuergelder sollen nicht einem Gläubiger des Empfängers zufließen können. Andererseits ist auch nicht einsichtig, warum die Gläubiger eines Hilfeempfängers schlechter gestellt werden sollten als die eines werktätigen Menschen. Folglich bleibt die Verpflichtung, eine Gleichstellung zu erreichen.

§ 54 SGB I bestimmt unter der Überschrift „Pfändung“:

„(1) Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen können nicht gepfändet werden.

(2) Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

(3) Unpfändbar sind Ansprüche auf

1.Erziehungsgeld und vergleichbare Leistungen der Länder sowie Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes anrechnungsfreien Beträge,
2.Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit das Mutterschaftsgeld nicht aus einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit herrührt, bis zur Höhe des Erziehungsgeldes nach § 5 Abs. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes oder des Elterngeldes nach § 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, soweit es die anrechnungsfreien Beträge nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes nicht übersteigt,
2a.Wohngeld, soweit nicht die Pfändung wegen Ansprüchen erfolgt, die Gegenstand der §§ 5 und 6 des Wohngeldgesetzes sind,
3.Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.
(4) Im übrigen können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

(5) 1Ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen für Kinder (§ 48 Abs. 1 Satz 2) kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt wird, gepfändet werden. 2Für die Höhe des pfändbaren Betrages bei Kindergeld gilt:

1.Gehört das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt wird, so ist eine Pfändung bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfällt. 2Ist das Kindergeld durch die Berücksichtigung eines weiteren Kindes erhöht, für das einer dritten Person Kindergeld oder dieser oder dem Leistungsberechtigten eine andere Geldleistung für Kinder zusteht, so bleibt der Erhöhungsbetrag bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages des Kindergeldes nach Satz 1 außer Betracht.
2.Der Erhöhungsbetrag (Nummer 1 Satz 2) ist zugunsten jedes bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigten unterhaltsberechtigten Kindes zu dem Anteil pfändbar, der sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Leistungsberechtigten berücksichtigt werden, ergibt.
(6) In den Fällen der Absätze 2, 4 und 5 gilt § 53 Abs. 6 entsprechend.“

Um hier die Sozialleistungen nun dem Arbeitseinkommen gleichzustellen, hat der Gesetzgeber in § 54 Absatz 4 SGB I festgehalten, dass laufende Sozialleistungen wie Arbeitseinkommen pfändbar sind.

Damit sind wir schon ein ganzes Stück der Problematik näher gekommen.

Zunächst bedarf aber der § 55 im SGB I einer näheren Betrachtung:

§ 55 regelt die Kontenpfändung und Pfändung von Bargeld:

„(1) 1Wird eine Geldleistung auf das Konto des Berechtigten bei einem Geldinstitut überwiesen, ist die Forderung, die durch die Gutschrift entsteht, für die Dauer von sieben Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar. 2Eine Pfändung des Guthabens gilt als mit der Maßgabe ausgesprochen, daß sie das Guthaben in Höhe der in Satz 1 bezeichneten Forderung während der sieben Tage nicht erfaßt.

(2) 1Das Geldinstitut ist dem Schuldner innerhalb der sieben Tage zur Leistung aus dem nach Absatz 1 Satz 2 von der Pfändung nicht erfaßten Guthaben nur soweit verpflichtet, als der Schuldner nachweist oder als dem Geldinstitut sonst bekannt ist, daß das Guthaben von der Pfändung nicht erfaßt ist. 2Soweit das Geldinstitut hiernach geleistet hat, gilt Absatz 1 Satz 2 nicht.

(3) 1Eine Leistung, die das Geldinstitut innerhalb der sieben Tage aus dem nach Absatz 1 Satz 2 von der Pfändung nicht erfaßten Guthaben an den Gläubiger bewirkt, ist dem Schuldner gegenüber unwirksam. 2Das gilt auch für eine Hinterlegung.

(4) Bei Empfängern laufender Geldleistungen sind die in Absatz 1 genannten Forderungen nach Ablauf von sieben Tagen seit der Gutschrift sowie Bargeld insoweit nicht der Pfändung unterworfen, als ihr Betrag dem unpfändbaren Teil der Leistungen für die Zeit von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin entspricht.“

Das bedeutet im Klartext, die ersten 7 Tage ist die Gutschrift geschützt. Was danach noch da ist, ist gepfändet und damit weg – wenn der Schuldner nicht eine davon abweichende gerichtliche Entscheidung erwirken konnte. Die braucht er, um nachweisen zu können, dass das Restguthaben nicht von der Pfändung erfasst ist. Das steht so im Absatz 2.

Dies gilt nun unabhängig davon, ob die Höhe der Sozialleistungen überhaupt die Pfändungsfreigrenze des § 850c erreicht und der Betrag daher eigentlich nach Absatz 4 unpfändbar wäre.
Der Schuldner stand nun vor dem Problem, wie er eine solche gerichtliche Entscheidung bekommen sollte. Die Zivilprozessordnung – in ihr ist die Zwangsvollstreckung geregelt – kennt eine Menge Rechtsbehelfe im Vollstreckungsrecht.

Für das Arbeitseinkommen hat der Gesetzgeber den § 850k in die ZPO geschrieben:

„§ 850k Pfändungsschutz für Kontoguthaben aus Arbeitseinkommen
(1) Werden wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b bezeichneten Art auf das Konto des Schuldners bei einem Geldinstitut überwiesen, so ist eine Pfändung des Guthabens auf Antrag des Schuldners vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben, als das Guthaben dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung bis zu dem nächsten Zahlungstermin entspricht.

(2) 1Das Vollstreckungsgericht hebt die Pfändung des Guthabens für den Teil vorab auf, dessen der Schuldner bis zum nächsten Zahlungstermin dringend bedarf, um seinen notwendigen Unterhalt zu bestreiten und seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten zu erfüllen oder die dem Gläubiger gleichstehenden Unterhaltsberechtigten gleichmäßig zu befriedigen. 2Der vorab freigegebene Teil des Guthabens darf den Betrag nicht übersteigen, der dem Schuldner voraussichtlich nach Absatz 1 zu belassen ist. 3Der Schuldner hat glaubhaft zu machen, dass wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b bezeichneten Art auf das Konto überwiesen worden sind und dass die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen. 4Die Anhörung des Gläubigers unterbleibt, wenn der damit verbundene Aufschub dem Schuldner nicht zuzumuten ist.

(3) Im Übrigen ist das Vollstreckungsgericht befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen.“

Das ist nun etwas anders, als was im SGB geregelt ist. Hier kann der Arbeitnehmer mit einer gerichtlichen Entscheidung sein Konto wenigstens bis zur Pfändungsfreigrenze vor dem Zugriff des Gläubigers schützen. Es hat ihm die Möglichkeit eröffnet, auf seinen Antrag hin schon von vornherein und mit Wirkung für die gesamte Dauer der Pfändung den jeweils durch die wiederkehrenden Zahlungen von Arbeitsentgelt auf das Konto gelangenden Betrag im Umfang der Pfändungsfreigrenzen durch Entscheidung des Vollstreckungsgerichts freizustellen.

Auf diese Möglichkeit kann sich unser Schuldner nicht berufen. Die Sozialleistungen sind zwar dem Arbeitseinkommen gleichgestellt. So weit geht nun aber die Gleichstellung nicht.

Ein möglicher Rechtsbehelf, der zum Erfolg führen kann ist die so genannte Erinnerung, geregelt in § 766 ZPO:

„Erinnerung gegen Art und Weise der Zwangsvollstreckung

(1) 1Über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betreffen, entscheidet das Vollstreckungsgericht. 2Es ist befugt, die im § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen.

(2) Dem Vollstreckungsgericht steht auch die Entscheidung zu, wenn ein Gerichtsvollzieher sich weigert, einen Vollstreckungsauftrag zu übernehmen oder eine Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen, oder wenn wegen der von dem Gerichtsvollzieher in Ansatz gebrachten Kosten Erinnerungen erhoben werden.“

Bisher wurde verbreitet die Meinung vertreten, nach Ablauf der 7 – Tage – Frist könne der Schuldner die Freigabe des unpfändbaren Restguthabens nur mit diesem Rechtsbehelf geltend machen.

Hieraus folgt aber zwingend, dass dies nur auf die jeweils aktuelle monatliche Überweisung der Sozialleistung möglich ist.

Die Folge für den Schuldner, entweder das Konto abräumen und alles mit Bargeschäften tätigen – oder aber Monat für Monat beim Gericht eine erneute Erinnerung anbringen.

Der BGH hat nun in seinem Beschluß festgestellt, dass ein derartiges Verfahren, das dazu zwingt, die Unpfändbarkeit des Restguthabens Monat für Monat mit einem Rechtsbehelf geltend zu machen, den Sozialleistungsempfänger in erheblichem Maße daran hindert, mit dem ihm pfändungsfrei zustehenden Kontoguthaben am heute üblichen bargeldlosen Zahlungsverkehr teilzunehmen. Dies könne nicht hingenommen werden.

Der Bundesgerichtshof hat nun die Regelung des § 850k ZPO entsprechend auch auf die Fälle angewandt, in denen wiederkehrende Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II auf das gepfändete Konto des Schuldners überwiesen werden.

Weil es in direkter Anwendung eben nicht ging, bleibt nur die Analogie. Hier hat das Gericht eine planwidrige Gesetzeslücke gesehen und diese mit der analogen Anwendung geschlossen.

Das Landgericht hatte dies schon ebenso gesehen gehabt. Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin war daher erfolglos geblieben.

Im Ergebnis hat das Gericht die Stellung desjenigen Schuldners, der Empfänger staatlicher Transferleistungen ist, verbessert.

Beschluss vom 20. Dezember 2006 – VII ZB 56/06

AG Darmstadt – 63 M 30893/06

06
Feb
07

Wer erbt was im Deutschen Kaiserhaus ?

Die Nachkommen des letzten Deutschen Kaisers, Wilhelm II beschäftigen nicht nur die yellow-press. Auch für die Juristen sind die innerfamiliären Vorgänge äußerst interessant.

Nicht weit von Württemberg und Baden,
von Bayern und der schönen Schweiz,
da ragt ein Berg so hoch erhaben,
den man den Hohenzollern heißt.
Er schaut herab so stolz und kühn
auf alle die vorüberziehn
an Hohenzollerns steilem Felsen
wo unverzagt die Eintracht ruht !

Dieses Lied gilt als Hymne der Hohenzollerischen Lande, seit Mitte des 19. Jahrhunderts dem preußischen Königreiche zugehörig. Den mächtigen Berg krönt die Burg Hohenzollern, Stammsitz des Adelsgeschlechtes, aus dem 1414 beim Konzil in Konstanz der Burggraf von Nürnberg mit der Mark Brandenburg belehnt worden war. Diese fränkische Linie Brandenburg-Preußen stellte ab 1701 die preußischen Könige und von 1871 bis 1918 die Deutschen Kaiser. Das Haus Hohenzollern stellte außerdem von 1866 bis 1947 die rumänischen Könige. Die Tatsache, dass ein weiterer Hohenzoller den spanischen Thron besteigen sollte, führte zur „Emser Depesche“ und damit direkt in den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.

Ob hier auf dem Zoller aber nach wie vor die Eintracht unverzagt ruht, darf durchaus als fraglich bezeichnet werden, nachdem zwischen den Mitgliedern des Hauses Preußen ein Erbstreit entbrannt ist.

Von diesem Berg da geht die Sage,
die schweres Leid im Lande weckt,
und mancher Vater kennt die Klage,
die sich auf seinen Sohn erstreckt;
man nahm ihn fort ins ferne Land,
das Liebchen glaubt, er sei verbannt
von Hohenzollern steilem Felsen,
wo unverzagt die Eintracht ruht.

Am 25. September 1994 verstarb SKH Dr. Louis Ferdinand, Prinz von Preußen, Sohn des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen. Der Streit entbrannte nun um das Hausvermögen des Königshauses. Es war die Frage zu klären, ob diese Vermögensmasse zum Nachlass zu zählen war.

Kronprinz Wilhelm hatte im Jahre 1938 einen Erbvertrag geschlossen. In diesem ist die Vor- und Nacherbfolge in das Hausvermögen geregelt worden.

In diesem Erbvertrag findet sich die Bestimmung, dass die Abkömmlinge des Vorerben im Mannesstamm nach dem Grundsatz der Erstgeburtsfolge Nacherben werden sollten.

Hierzu war aber im Vertrag noch eine Einschränkung gemacht worden, die sowohl Rechtsprechung als auch Rechtswissenschaft unzählige Male beschäftigen sollte. Von der Nacherbenschaft wird nämlich ausgeschlossen, wer entweder nicht aus einer den Grundsätzen der Hausverfassung des Brandenburgisch-Preußischen Hauses entsprechenden Ehe stammt oder aber in einer nicht hausverfassungsmäßigen Ehe lebt.

Diese Bestimmung wurde unter dem Namen Erbunfähigkeitsklausel berühmt.

Die Hausverfassung verlangt, dass der angeheiratete Partner aus einer dem Hause Preußen ebenbürtigen Familie stammt. Und bei der Ebenbürtigkeit geht es um die Blaublütigkeit, wobei hier zwischen den verschiedensten Adelsfamilien offensichtlich deutliche Unterschiede bestehen. Der „Gotha“ als Handbuch der internationalen Heiratsvermittlung scheint hier mehr als aktuell zu sein.

Diese Klausel war in der Folge von verschiedenen Mitgliedern des Hauses für sittenwidrig und daher für nichtig erachtet worden.

Wenn die Gerichte dieser Auffassung folgen wollten, würde dies dazu führen, dass das Hausvermögen zum Nachlaß zu rechnen wäre und damit Pflichtteilsansprüche bestünden.

Die Fachgerichte hatten aber die Wirksamkeit dieser vertraglichen Regelungen bejaht. Das Oberlandesgericht verkündete am 23. Mai 2002 ein Urteil. In diesem zitierte es zur Begründung einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1998, der in der Entscheidungssammlung im 140. Band ab Seite 118 Aufnahme gefunden hatte. Dieser hatte zur Frage der Anordnung von Vor- und Nacherbfolge und insbesondere der Erbunfähigkeitsklausel sehr differenzierte Ausführungen gemacht und ausdrücklich die Wirksamkeit bejaht.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Herrn von Preußen hatte die Kammer des Bundesverfassungsgerichtes mit Beschluss vom 26. April 2004 (1 BvR 795/03) mangels Zulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.

Zwischenzeitlich hatte aber auch der älteste Bruder beim Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt. Und ihm war mehr Erfolg beschieden.

Mit Beschluss vom 22. März 2004 (- 1 BvR 2248/01 – BVerfGK 3, 112) hob das Gericht unter anderem den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1998 auf.

Die Sache war nämlich die, dass dieser nicht in einer hausverfassungsmäßigen Ehe lebte. Er fiel somit unter die erbvertragliche Erbunwürdigkeitsklausel. Damit schied er entsprechend der Vorschrift im Erbvertrag als Nacherbe aus.

Der Erbvertrag stammt zwar aus dem Jahre 1938. Am 23. Mai 1949 passierte aber etwas, was für den Erbvertrag als nicht unwesentlich angesehen werden musste. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland trat in Kraft – und damit auch die Grundrechte. Diese wirken zwar nicht unmittelbar auf private Rechtsverhältnisse. Darüber ist schon sehr viel geschrieben worden. Aber eine mittelbare Wirkung entfalten sie doch,über so genannte Generalklauseln. Der § 242 im BGB ist zum Beispiel so eine Klausel, die „Treu und Glauben“ als Grundlage für die Rechte und Pflichten aus Schuldverhältnissen normiert. Oder aber die Vorschrift, dass ein sittenwidriges Rechtsgeschäft nichtig ist. Wenn nun gesagt werden kann, dass ein Vertrag, der die Grundrechte missachtet, als sittenwidrig anzusehen ist, dann wirken diese Rechte doch, zwar nicht unmittelbar, aber quasi um die Ecke. Die Rechtswissenschaft nennt diese Generalklauseln daher auch die Einfallstore für die Grundrechtswirkung. Dass diese Generalklauseln in den Jahren vor 1945 für ganz andere Sachen herhalten mussten, ist ein anderes Thema.

Nun war also der Erbvertrag an den Grundrechten zu messen. Und da gibt es ein Recht in Artikel 6. Das ist das Recht auf Eheschließungsfreiheit.

Vereinfacht gesprochen sagt dieses Recht: Wo die Liebe hinfällt, da soll auch geheiratet werden dürfen. Ursprünglich ist dieses Recht dazu gedacht, dass der Staat hier keine Hindernisse aufstellen darf, von Altersbeschränkungen und Geschwisterehe einmal abgesehen.

Die Erbunwürdigkeitsklausel ist nun aber kein Akt staatlicher Gewalt, auch wenn der Erbvertrag notariell beurkundet ist. Auch dass eine Vetragspartei Kronprinz des Deutschen Reiches war, macht die Sache noch nicht öffentlich. Aber das Einfallstor der Generalklausel ließ die Sache in einem ganz anderen Licht erscheinen, obgleich damals bei Vertragsschluss niemand an den Artikel 6 denken konnte.

Nun war eine unangenehme Situation eingetreten. Der Bruder war in Karlsruhe erfolgreich gewesen. Herr von Preußen aber abgewiesen worden. Seine Eheschließungsfreiheit war ja nicht berührt gewesen. Wenn aber schon ein Gericht die Unanwendbarkeit der Erbunwürdigkeitsklausel festgestellt hatte, so musste das doch zumindest in der Folge auch für ihn gelten.

Und so kam es zum neuerlichen Rechtsstreit:

Herr von Preußen strengte eine so genannte Restitutionsklage an:

Die Restitutionsklage schafft eine Möglichkeit, wie an sich rechtskräftige Urteile überprüft werden könne. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass dies der Fall ist, wenn die Grundlagen eines solchen Urteiles für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsgefühl unerträglichen Weise erschüttert sind. Veröffentlicht wurde diese Entscheidung in der NJW des Jahres 1988 auf der Seite 1914.

Der Gesetzestext des § 580 ZPO lautet:

„Die Restitutionsklage findet statt:

1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;
5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7. wenn die Partei

a) ein in derselben Sache erlassenes früher rechtskräftig gewordenes Urteil
oder
b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.“

Hier könnte nun ein Fall der Nr. 6 vorliegen:

„Gegründet“ im Sinne dieser Vorschrift bedeutet, dass die angefochtene Entscheidung im aufgehobenen Urteil eine Stütze finden muss. Dies hat der BGH in der oben bereits erwähnten Entscheidung so ausformuliert.
Im Erbrecht gilt aber noch eine Besonderheit: Bei unrichtigen Erbscheinen hilft § 2361 BGB.

Das Restitutionsverfahren ging wiederum bis zum Bundesgerichtshof. Ergebnis war: Abweisung der Klage. Alles bleibt wie es war. Das Gericht hat sich hierzu intensiv mit § 79 BVerfGG auseinandergesetzt.

§ 79 BVerfGG regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Folgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wird, auf deren Grundlagen Entscheidungen ergangen sind, die schon rechtskräftig geworden oder sonst nicht mehr anfechtbar sind.

Nun haben wir ja keine Rechtsnorm im Hintergrund, sondern den Erbvertrag. Der BGH hat daher auch die Möglichkeit der analogen Anwendung geprüft und festgehalten, dass hiervon auch Entscheidungen nicht ausgenommen werden können, durch welche die Zivilgerichte angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen. Schließlich soll deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleiben.

Das Gericht erkannte den grundlegenden Unterschied zwischen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und der verfassungskonformen Auslegung einer Regelung. Der BGH vertrat aber weiterhin die Meinung, dass, wenn man sie unter dem Aspekt der Gewährung von Grundrechtsschutz betrachtet, sich Ähnlichkeiten ergäben. Dies erfordere im Hinblick auf Artikel 3 und damit auf den allgemeinen Gleichheitssatz, dass beide Fallkonstellationen gleich behandelt werden müssen.

Der BGH lieferte aber sogleich eine Einschränkung dahingehend mit, dass dies nur gelten dürfe, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben im Einzelfall beanstandet, sondern für die Auslegung des bürgerlichen Rechts über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe setzt, an welche die Zivilgerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen gebunden sind.

Nach der Erkenntnis der Grundzüge dessen, was zur Entscheidung herangezogen werden muss, war der konkrete Sachverhalt daran zu messen. Es ging ja letztlich darum, ob ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren wieder aufgenommen werden kann, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem ältesten Bruder Recht gegeben hatte.

Und so kam der BGH zur Erkenntnis, dass in dem fraglichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2004 zwar über den Einzelfall hinaus allgemeine Maßstäbe zur Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB gesetzt werden – also auf die Regelungen zur Sittenwidrigkeit und auf Treu und Glauben.

Diese Maßstäbe gelten für solche letztwilligen Verfügungen, die die Eheschließungsfreiheit der als Erben eingesetzten Abkömmlinge beeinflussen.
Diese Maßstäbe sind auch von den Gerichten bei zukünftigen Entscheidungen zu beachten.

Nach Auffassung des BGH ändern sie aber nichts an der Tatsache, dass ein bereits unanfechtbar abgeschlossenes Verfahren Bestand behält. Dies gilt im Interesse der Rechtssicherheit auch dann, wenn es auf einer nunmehr als verfassungswidrig erkannten Auslegung und Anwendung der Generalklauseln beruht.
Dies ergibt sich aus den Einschränkungen, die das Gesetz selbst in § 79 BGerfGG getroffen hat.

Hieraus schließt der BGH den unvermeidbaren Schluß, dass ein solches Verfahren daher auch nicht im Wege einer Restitutionsklage einer neuen Sachentscheidung zugeführt werden kann. Lapidar schreibt das Gesetz in die Begründung, dass ein Wandel der Rechtsauffassung kein Restitutionsgrund sei und verweist auf die umfangreiche Rechtsprechung hierzu. (BVerfGE 2, 380, 395, 405; BGH, Urteil vom 11. März 1953 – II ZR 180/52 – BB 1953, 273; BAG, AP Nr. 1 zu § 580 ZPO; BFHE 123, 310, 311 f.).

Damit war nun wiederum Karlsruhe gefragt. Der Rechtsweg war erschöpft. Und die Hoffnung lag darin, dass dieses Urteil des BGH grundrechtswidrig war.

Das Bundesverfassungsgericht indess hat die Verfassungsbeschwerde gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es mit dem Gedanken der Rechtssicherheit unvereinbar wäre, wenn Gerichtsentscheidungen wegen einer Änderung der Rechtssprechung beseitigt werden könnten. Zumal diese Entscheidungen aufgrund gültiger Gesetze und einem unangreifbaren Verfahren zustandegekommen waren. Dies gilt umso mehr, wenn sogar Akte staatlicher Gewalt dann aufrecht erhalten werden können, wenn sie auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhen. Etwas anderes wäre der Rechtssicherheit im höchsten Maße abträglich.

Das Verfassungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auch auf die vom BGH zitierte Entscheidung aus dem zweiten Entscheidungsband und bestätigt so nochmals, dass die Änderung der Rechtsauffasung keinen Restitutionsgrund darstellen dürfe.

Das Bundesverfassungsgericht musste sich in diesem Zusammenhang auch noch mit der Frage befassen, wie es ist, wenn ein Gericht seine Rechtsauffassung mit Hilfe einer Entscheidung eines anderen Gerichtes stützt und diese Entscheidung dann rechtskräftig wird. § 580 Nr. 6 ZPO spricht ja von „gegründet“ – wenn das Verfassungsgericht später dann diese Auslegung und Anwendung des ennfachen Rechts – also nicht des Verfassungsrechts – in der der zugrundegelegten Entscheidung als verfassungswidrig beanstandet.
Also anders herum gefragt: Das Gericht in A entscheidet einen Fall und zieht zur Begründung eine Entscheidung des Gerichtes in B heran und zitiert diese Entscheidung sogar über weite Strecken. Die Entscheidung des Gerichtes in A wird rechtskräftig. Die Entscheidung aus B nimmt einen anderen Weg, landet in Karlsruhe und wird wegen verfassungswidriger Auslegung des einfachen Rechts aufgehoben. Muß dann das Verfahren aus A wieder neu aufgerollt werden ?

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage verneint, denn auch darin liege ein die Durchbrechung der Rechtssicherheit nicht rechtfertigender Rechtsprechungswandel. Und nur ein Wandel der Rechtsprechung genügt ja nicht.

Aber das ist dem Bundesverfassungsgericht noch nicht genug:

Es argumentiert nicht nur mit der Rechtssicherheit sondern auch mit nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen. Das Verfassungsgericht ist nunmal keine Superrevisionsinstanz. Damit einher geht eine Einschränkung, welche Entscheidungen überhaupt der Verfassungsbeschwerde zugänglich sind. Dies ist in § 90 II S1 BVerfGG geregelt. Würde nun in jedem Fall die Restitution zugelassen werden, würde dies zu einer unübeschaubaren Zahl von Fällen führen und dem Verfassungsgericht würde eine ihm nicht zugedachte Rolle anheimfallen. Dies widerspricht aber der gesetzgeberischen Wertung.

Schließlich hatte sich das Gericht noch mit der Frage beschäftigt, ob nicht doch etwas anderes gelten müsse, weil die zitierte und die zitierende Entscheidung denselben Tatsachenkomplex betreffen.

Das Stichwort lautet hier: konzeptionelle Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung

Das Verfassungsgericht hat im 78. Entscheidungsband auf den Seiten 123 ff. hierzu dezidiert Stellung bezogen. Auf Seite 126 findet sich die Argumentation, dass es hinzunehmen ist, wenn im Einzelfall die gerichtliche Beurteilung der Rechtslage für an einem einheitlichen Lebensgeschehen Beteiligte aufgrund unterschiedlich zuständiger Gerichte und/oder zeitlich versetzt stattfindender Gerichtsverfahren differieren und zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen kann.

Damit ist das Ergebnis nachvollziehbar begründet.

Der Erbstreit im Hause Preußen hat wenigstens den Juristen einen Erkenntnisgewinn gebracht, auch wenn die hierzu ergangenen Fachaufsätze wohl kaum die Auflagenstärke eines der bunten Blätter erreichen dürfte. Und so bleibt uns zum Schluß die letzte Strophe des Hohenzollernliedes:

Doch kommt die lang ersehnte Stunde,
die uns zur Heimat wieder ruft
dann jauchzen wir mit frohem Munde
dem schönen Hohenzollern zu.
Und rufen laut: O Heimatland,
wie ist mein Herz an dich gebannt,
an Hohenzollerns steilen Felsen,
wo unverzagt die Eintracht ruht.




Rechtsanwalt und Mediator Roland Hoheisel-Gruler

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