Archiv für März 2007

20
Mär
07

Bundesarbeitsgericht: Wann endet die Berufsausbildungszeit

Diese Frage beschäftigte das BAG, obgleich doch eine Antwort im Gesetz steht: § 14 BBiG aF = § 21 Abs. 1 Satz 1 in der seit dem 1. April 2005 gültigen Fassung sagt nämlich:

„Ein Berufsausbildungsverhältnis endet mit Ablauf der vereinbarten Ausbildungszeit.“

Eine Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses findet nur statt, wenn der Auszubildende die Abschlussprüfung nicht bestanden hat. § 14 Abs. 3 BBiG aF = § 21 Abs. 3 BbiG regelt für diesen Fall, dass sich das Berufsausbildungsverhältnis verlängert, und zwar längstens um ein Jahr bis zur nächstmöglichen Abschlussprüfung. Dies geschieht dann auf das Verlangen des Auszubildenden.

Sonst gibt es nur noch die Möglichkeit, dass die zuständige Stelle die Ausbildungszeit verlängert, und zwar auf Antrag. Voraussetzung hierfür ist, dass die Verlängerung erforderlich ist, damit das Ausbildungsziel erreicht wird. Geregelt ist das in § 29 Abs. 3 BBiG aF = § 8 Abs. 2 BbiG.

Die Frage, was aber mit dem Ausbildungsverhältnis ist, wenn das vertraglich vereinbarte Ende der Ausbildungszeit lange vor der Abschlußprüfung liegt.

Bei Frau A war dies der Fall. Sie hatte mit der B einen Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen. Sie wollte Restaurantfachfrau werden.

Wie in einem solchen Falle üblich, wurden Beginn und Ende festgelegt: Das Ausbildungsverhältnis sollte zwischen dem 15. Oktober 2001 und dem 14. Oktober 2004 bestehen.

Am 18. Januar 2002 wurde die Eintragung in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverträge von der zuständigen Industrie- und Handelskammer bestätigt. Als voraussichtlichen Termin der Abschlussprüfung nannte die IHK den „Winter 2004“. Jetzt mag es im Oktober zwar manchmal kalt sein, gelegentlich fällt in den höheren Lagen auch schon Schnee, aber es war absehbar, dass die Abschlußprüfung erst nach dem vertraglich vereinbarten Ende der Ausbildungszeit stattfinden werde.

Den ausbildenden Betrieb focht dies nicht an – und beschäftigte Frau A nach dem 14.10.2004 nicht mehr weiter.

Frau A bestand dann die Abschlussprüfung am 29. Januar 2005 mit der Ablegung der mündlichen Prüfung.

Mit ihrer Klage verfolgte Frau A das Ziel, feststellen zu lassen, dass ihr Ausbildungsverhältnis bis zum 29.Januar 2005 bestanden habe.

Das Arbeitsgericht hat ihrer Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.

Mit ihrer Revision blieb Frau A vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos.

Der Neunte Senat hat entschieden, dass nach § 14 Abs. 1 BBiG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (jetzt: § 21 Abs. 1 Satz 1 BBiG) das Berufsausbildungsverhältnis mit Ablauf der Ausbildungszeit am 14. Oktober 2004 geendet hat, obwohl die Abschlussprüfung erst im Januar 2005 bestanden wurde.

Eine Verlängerung bis zum Bestehen der Abschlußprüfung gibt das Gesetz nicht her. So kann es zu dem durchaus nicht zufriedenstellenden Ergebnis kommen, dass, hätte Frau A am 29. Januar nicht bestanden, das Berufsausbildungsverhältnis wieder neu auf ihr Verlangen hin hätte aufgenommen werden müssen. Eine einfache Verlängerung wäre ja wegen der zwischenzeitlichen Beendigung nicht möglich gewesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. März 2007 – 9 AZR 494/06 –
Vorinstanzen: LAG Baden-Württemberg – Kammern Freiburg -, Teilurteil vom 14. Dezember 2005 – 10 Sa 51/05 –

20
Mär
07

Bundesgerichtshof: Neue Entscheidung zu „Schrottimmobilien“ und „Mietpools“

Beklagte im Verfahren ist die Bausparkasse B. Frau K hatte eine Eigentumswohnung erworben – wie so viele wollte sie damit Steuern sparen und gleichzeitig eine sichere Anlage für später haben. Für ein besonderes Modell, das unterm Strich wohl fast nichts kosten sollte, hatte sie ein Vermittler geworben. Kernstück dieses Modelles war ein so genannter „Mietpool“.

Gekostet hat die Eigentumswohnung, die Frau K auf diese Weise erwarb, damals 1997 eigentlich DM 88.000,00. Die Wohnung war in Schwelm gelegen und bereits vermietet. Damit Frau K den Kaufpreis finanzieren konnte, musste sie ein Grundschuldvorausdarlehen einer Bank über DM 100.000,00 aufnehmen. Im Darlehensvertrag war vorgesehen, dass Frau K der Mieteinnahmegemeinschaft – dem Mietpool – beizutreten hatte, was sie auch tat.

Und jetzt kam die Bausparkasse ins Spiel. Mit ihr wurden zwei Bausparverträge abgeschlossen. Mit diesen Veträgen sollte der Kredit getilgt werden.

Die ganze Sache ging gründlich schief – und so landete man vor Gericht. Zunächst vor dem Landgericht in Karlsruhe.

Frau K machte nämlich geltend, die Bausparkasse habe vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt. Zum damaligen Zeitpunkt hieß das noch culpa in contrahendo – ein Verschulden vor Vetragsschluß, jetzt ist das Ganze im BGB normiert – seit der Schuldrechtsreform 2002.

Eine Verletzung dieser Pflichten kann dann zu Schadensersatzansprüchen führen. Hierbei ist besonders zu prüfen, welche Pflichten sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben können. Vorvertraglich heisst ja gerade, dass hier Rechte und Pflichten bestehen sollen, bevor überhaupt vertragliche Ansprüche zwischen den Parteien begründet worden sind.

Jetzt sagt uns schon der § 311 BGB:

„Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) 1Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. 2Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.“

Frau K sagt nun, das Mietpoolkonzept habe von Anfang an überhöhte Ausschüttungen vorgesehen,. Hierdurch sei eine entsprechende Rendite vorgetäuscht worden. Das Ganze sei in betrügerischer Manier erfolgt.

Diese Hintergründe eines betrügerischen Konzeptes seien der Bausparkasse B bekannt gewesen. Diese habe gleichwohl hierbei mitgemacht. Schließlich habe die B ja den Beitritt zum Mietpool zur Voraussetzung dafür gemacht, dass das Bauspardarlehen zur Auszahlung kam.

Die überhöhten Mietpoolausschüttungen habe die B hierbei als tatsächliche Mieterträge behandelt.

Die Bausparkasse hätte ihren Wissensvorsprung der Frau K vor Vetragsschluß offenbaren müssen. Hierzu sei sie verpflichtet gewesen. Nachdem sie dies aber unterlassen habe, hätte sie sich ersatzpflichtig gemacht.

Das Landgericht in Karlsruhe hat die Klage abgewiesen.

Auf die Berufung der Frau K hin hat das Oberlandesgericht in Karlsruhe der Klage stattgegeben, aber die Revision zugelassen. Das OLG hatte hierzu Beweis darüber erhoben, wie es sich mit der Üblichkeit des verlangten Beitrittes zu der Mieteinnahmegemeinschaft verhielt.

Das Urteil des OLG wurde in ZIP 2005, 698 veröffentlicht.

Auf die Revision hin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an einen anderen Senat des OLG Karlsruhe jetzt zurück verwiesen.

Trotzdem ist es kein Sieg der Bausparkasse.

Hatte das OLG noch angenommen, die finanzierende Bank sei schon deshalb zur Aufklärung verpflichtet, weil sie dem Darlehnsnehmer zur Voraussetzung der Auszahlung den Beitritt zum für das Erwerbsobjekt bestehenden Mietpool gemacht habe, hat der BGH jetzt dieser weitreichenden Aufklärungspflicht eine Absage erteilt.

Treten aber bei dem konkreten Mietpool im konkreten Fall noch spezifische Risiken hinzu, können sich in diesem Zusammenhang weitergehende Aufklärungspflichten ergeben.

Das Gericht nennt hier beispielhaft mehrere für diese Form durchaus üblich waren.

So, wenn die Bank bereits Kenntnis von der Überschuldung des Pools hat und trotzdem dem Beitritt verlangt. Auch für den Fall, dass dem Mietpool bereits Darlehen gewährt wurden, für den die Mitglieder haften müssen.

Schließlich nannte das Gericht auch das Beispiel, wonach den Mitgliedern zunächst überhöhte Ausschüttungen gemacht wurden, die diesen einen falschen Eindruck von der Rentabilität und der Finanzierbarkeit der Anlage vermittelten und die finanzierende Bank hiervon Kenntnis hatte.

Im jetzt vom BGH entschiedenen Fall konnten diese Voraussetzungen noch nicht abschließend beurteilt werden.

Zwar steht fest, dass die Vermittler und die Mietpoolverwalterin die Klägerin arglistig getäuscht haben. Dies geschah dadurch, dass einerseits evident unrichtige Angaben zur angeblich in dem konkreten Mietobjekt erzielbaren Miete gemachtg wurden und darüber hinaus auch Auszahlung getätigt wurden, die entsprechend überhöht waren und denen keine entsprechenden Mieteinnahmen zugrunde lagen.

Nicht tragfähig sind hingegen die Feststellungen des Berufungsgerichts, dies sei der Beklagten bekannt gewesen.

Das OLG hatte keine Beweisaufnahme zur Frage der Kenntnis der beklagten Bausparkasse von den konkreten Risiken des Mietpools durchgeführt.

Diese Kenntnis ist zwischen den Parteien streitig. Zeugenbeweis war angeboten worden.

Die vorliegenden Unterlagen belegen nämlich nicht ausreichend eine Kenntnis der B. Dies hatte das OLG aber angenommen gehabt.

Nachdem die Feststellungen zur Kenntnis sich als nicht tragfähig erwiesen haben, muss dies auch für die weitere Annahme des Oberlandesgerichtes gelten, die Bausparkasse habe sich wissentlich an einem Betrug zum Nachteil der Frau K beteiligt.

Deswegen schloss der BGH : „Nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht wird dieses nunmehr in der prozessual gebotenen Weise die erforderlichen Feststellungen zu der von der Klägerin behaupteten Kenntnis der beklagten Bausparkasse von der arglistigen Täuschung zu treffen haben.“

Wichtig ist aber, dass der BGH auch geurteilt hat, dass der Frau K hier nun eine Beweiserleichterung zugute kommt. Hierzu hatte der Senat schon in der Entscheidung vom 16. Mai 2006 (XI ZR 6/04) wesentliches ausgeführt.

Hierbei wird der Klägerin im Anschluss an die Entscheidung des erkennenden Senats vom 16. Mai 2006 (XI ZR 6/04). Diese Beweiserleichterung fußt auf einem die Aufklärungspflicht auslösenden konkreten Wissensvorsprungs

Dies gilt deswegen, weil die beklagte Bausparkasse in institutioneller Weise mit den Vermittlern zusammen gearbeitet hatte.

Ihre Kenntnis von der arglistigen Täuschung durch die Vermittler wird daher vermutet.

Es obliegt daher der Beklagten und nicht der Klägerin, diese Vermutung mit den von ihr angebotenen Beweismitteln zu widerlegen. Gelingt ihr dieses nicht, so ist eine neuerliche Verurteilung zu erwarten.

Urteil vom 20. März 2007 – XI ZR 414/04

LG Karlsruhe – Urteil vom 5. Dezember 2000 – 11 O 95/00 ./. OLG Karlsruhe – Urteil vom 24. November 2004 – 15 U 4/01

19
Mär
07

Bundesgerichtshof zur Abgrenzung von Mord und Totschlag im Fall Dennis

Wenn Kinder gewaltsam um ihr Leben gebracht werden, ist die öffentliche Aufmerksamkeit besonders groß. Wenn dann als Täter noch die Eltern ermittelt werden, ist der Aufschrei unüberhörbar.

Im Falle des knapp siebenjährigen Dennis hatte das Landgericht Cottbus die Eltern wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig hat nun über die Revisionen der Eltern entschieden.

Soweit das Urteil wegen vorsätzlicher Tötung des eigenen Kindes und Misshandlung von Schutzbefohlenen erging, hat der BGH den Schuldspruch des Cottbuser Landgerichtes bestätigt.

Diese Verurteilungen werden durch die Feststellungen des Gerichts getragen, dass die Eltern erkannt hatten, dass ihr Sohn immer mehr abmagerte und schließlich vollständig entkräftet war. Obgleich sie nun diese Erkenntnis tatsächlich hatten, haben sie geeignete Hilfemaßnahmen unterlassen.

Soweit hier nun ein Tötungsdelikt durch Unterlassen angenommen werden kann, muss diese objektive Tatbestandsverwirklichung auch von einem subjektiven Element getragen sein.

Es ist besonders wichtig, dass hier der konkrete Einzelfall betrachtet wird. Allgemeine Schlüsse oder die Lebenserfahrung des Betrachters helfen hier ebenso wenig wie sonstige Erfahrungssätze.

Entscheidend ist daher, ob diese Eltern dieses Kindes in dieser Situation einen Tötungsvorsatz hatten oder nicht, wobei hier drei verschiedene Formen des Vorsatzes unterschieden werden: Die Absicht, der direkte Vorsatz oder dolus directus und der Eventualvorsatz oder der dolus eventualis. Der Eventualvorsatz, der auch der „bedingte Vorsatz“ genannt wird, reicht für die Annahme der Tatbestandsverwirklichung aus, unter Umständen ist hier aber die größte Schwierigkeit zur Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit gegeben. Der BGH hat in der Entscheidung BGH NstZ 84,19 dazu definiert: „ Eventualvorsatz ist nach st. Rspr. gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht als ganz fernliegend erkennt und billigt.“

Den auf der Tatsachenbasis gezogenen Schluß auf diesen bedingten Tötungsvorsatz nahm nun auch der BGH für die letzte Phase der Mangelversorgung des Kindes Dennis an.

Soweit das Schwurgericht das Geschehen als grausame Tötung und damit als Mord gewertet hat, hat der Bundesgerichtshof das Urteil dahin abgeändert, dass die Angeklagten wegen Totschlags verurteilt sind.

Für die Annahme eines Mordes muss nämlich mindestens eines der Mordmerkmale des § 211 StGB erfüllt sein. Das Landgericht hatte hier das Mordmerkmal der Grausamkeit als gegeben angesehen. Dem hat der BGH nun widersprochen.

Grausam tötet, wer seinem Ofer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. So hat der BGH schon in seiner Entscheidung BGHSt 3, 180 geurteilt. Grausam kann es sein, wenn eine Mutter ein einjähriges Kind planmäßig verhungern lässt. (MDR/D 74,14; NstZ 82,379, Eser in NstZ 83,439).

Aber es ist eben auch so, dass das grausame Verhalten vom Tötungsvorsatz umfasst sein muss, wie der BGH im 37. Entscheidungsband auf Seite 41 bereits ausgeführt hat.

Im konkreten Fall nun hat der BGH darauf erkannt, dass es letztlich offen bleibt, ob das Untätigbleiben der Angeklagten nicht insgesamt nur einer von Gedanken- und Hilflosigkeit geprägten, durch Passivität gekennzeichneten Lebensführung entsprang.

Hierfür sprechen die außergewöhnlichen Umstände im Tatbild und die mit psychischen Beeinträchtigungen belasteten Täterpersönlichkeiten.

Zudem verspürte das Kind infolge der sich über Jahre hinziehenden Mangelernährung bereits etwa eineinhalb Jahre vor seinem Tode keinen Hunger mehr. Dies hat das Schwurgericht aufgrund sachverständiger Begutachtung festgestellt. Darüber hinaus war festgestellt worden, dass den Kind die Nahrung nicht verweigert wurde.

Wenn hier dem Kind also etwas Grausames angetan wurde, nämlich seinen Körper der lebensnotwendigen Nahrungsaufnahme entwöhnt zu haben und aufgrund dessen auch die körperliche und seelische Entwicklung irreparabel geschädigt zu haben, dann bereits zu einer Zeit, als die Eltern noch keinen bedingten Tötungsvorsatz gefasst hatten.

Für die Verwirklichung des Mordmerkmals der Grausamkeit wäre es aber erforderlich, dass das Opfer die besonderen Schmerzen oder Qualen zu einem Zeitpunkt erlitten hat, zu dem bereits Tötungsvorsatz gegeben war.

Der BGH führte aufgrund dieser Überlegungen daher weiter aus:

„Da Dennis weder Hungergefühl äußerte noch sonst besondere Schmerzen erkennen ließ, kann allein aus dem Unterlassen von Hilfe trotz von den Angeklagten bemerkter fortschreitender Auszehrung – anders als vom Schwurgericht angenommen – nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass die mit der Versorgung ihrer sieben Kinder heillos überforderten Angeklagten etwaige Schmerzen körperlicher und seelischer Art bei Dennis noch in der maßgeblichen letzten Phase ihres Unterlassens erkannt hätten.“

Mit Blick auf den Zeitablauf seit der Tat und die besondere Tatentwicklung ist ausgeschlossen, dass das Landgericht noch Mordmerkmale tragfähig feststellen kann.

Der Senat hat daher den Schuldspruch selbst geändert und die Sache zur Festsetzung einer neuen Strafe an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06

LG Cottbus – 21 Ks 3/05 – Urteil vom 20. Februar 2006

18
Mär
07

Bundesarbeitsgericht: Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten bedarf der Teilkündigung

Herr A arbeitete seit 1989 im Krankenhaus der B. Die Krankenhausleitung bestellte ihn mit Schreiben vom 1. Juli 1995 zum Datenschutzbeauftragten. Gesetzliche Grundlage hierfür ist § 4f Absatz 1 Satz 1 des Bundesdatenschutzgesetzes:

„4f Beauftragter für den Datenschutz
(1) 1Öffentliche und nicht öffentliche Stellen, die personenbezogene Daten automatisiert verarbeiten, haben einen Beauftragten für den Datenschutz schriftlich zu bestellen.“

Die Bestellung war aber nicht in Ordnung – formale Fehler führten dazu, dass das Regierungspräsidium in Chemnitz als Aufsichtsbehörde diese Bestellung beanstandete. Der Krankenhausträger widerrief dann die Bestellung mit Schreiben vom 16.09.2003.

Herr A wollte das so nicht hinnehmen und klagte auf Feststellung, dass er weiterhin Datenschutzbeauftragter der B sei.

Der Widerruf der Bestellung ist auch in § 4f BDSG geregelt, hier im ersten Halbsatz des vierten Satzes im dritten Absatz :

„Die Bestellung zum Beauftragten für den Datenschutz kann in entsprechender Anwendung von § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches, bei nicht-öffentlichen Stellen auch auf Verlangen der Aufsichtsbehörde, widerrufen werden.“

§ 626 BGB regelt die fristlose Kündigung des Arbeitsvehältnisses aus wichtigemGrund:

„626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) 1Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. 2Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. 3Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.“

Entsprechende Anwendung deshalb, weil ja nicht das gesamte Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt wird sondern nur die Bestellung widerrufen werden soll.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich hiermit auseinandergesetzt und dazu ausgeführt, dass die Bestellung im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer als eine Änderung des Arbeitsvertrages zu sehen ist.

Dies ergibt sich auch schon daraus, dass er nun neben seiner ursprünglichen Tätigkeit seinem Arbeitgeber auch die Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter schuldet.

Hieraus folgert nun das BAG, dass der Widerruf der Bestellung nach § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG deshalb nur bei gleichzeitiger Teilkündigung der arbeitsvertraglichen Aufgabe als Datenschutzbeauftragter wirksam sein kann.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage des Herrn A stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten blieb erfolglos. Für eine wirksame Abberufung des Klägers als Datenschutzbeauftragter fehlte die erforderliche Teilkündigung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. März 2007 ‑ 9 AZR 612/05 ‑

Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Juli 2005 ‑ 3 Sa 861/04 ‑

16
Mär
07

Der BGH und die antifaschistischen Hakenkreuze: Freispruch

Herr A hat mit Nationalsozialisten nichts am Hut – im Gegenteil. Nicht zuletzt wegen seiner Gegnerschaft vertrieb er für die Punkszene Aufkleber, Anstecker und ähnliche Gegenstände, auf denen nationalsozialistische Kennzeichen abgebildet waren, die durchgestrichen oder zerschmettert waren. Auf alle Fälle war den Gegenständen unschwer zu entnehmen, dass sie eine Botschaft transportieren sollten, die da hieß: „Ich bin gegen Nazis!“.

Das Landgericht Stuttgart hatte ihn zu einer Geldstrafe verurteilt, und zwar wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Die zugehörige Norm findet sich im § 86 a des StGB.

㤠86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet oder
2.Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.
(2) 1Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. 2Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.“

Mit der Vorschrift sollen mehrerer Ziele verfolgt werden: Zunächst soll die verfassungsmäßigen Ordnung geschützt werden. Dies geschieht hier durch die Abwehr einer Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen. Außerdem werden deren verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterbunden. Dies alles soll dem Schutz des politischen Friedens in der Bundesrepublik dienen.

Zur Erreichung dieser Ziele soll schon der Anschein einer solchen Wiederbelebung vermieden werden.
Besonders wichtig ist dem Gesetzgeber, bei in- und ausländischen Beobachtern jeglichen Anschein zu vermeiden, dass der braune Geist wieder in Deutschland wehen dürfe. Deswegen soll es auch keine Toleranz geben, die dahingehend interpretiert werden könnte, dass in der Bundesrepublik verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden.

Darüber hinaus soll § 86a auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sich wieder derart einbürgert, also als etwas „Normales“ empfunden wird. Vielmehr verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik zu verbannen.

Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, befürchtete der Gesetzgeber die Folge, dass die verbotenen Zeichen schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können.

Hierzu gibt es bereits umfangreiche Rechtsprechung. (BGHSt. 23 267, 268 [BGH 29.05.1970 – 3 StR 2/70]; 25 30, 33 [BGH 18.10.1972 – 3 StR 1/71] I; 25 128, 130 [BGH 14.02.1973 – 3 StR 1/72] I; BGH NStZ 1983 261, 262 [BGH 10.12.1982 – 2 StR 601/82]).

Die ganze Vorschrift ist letztlich aber auch vom Misstrauen des Staates in seine Bürger gekennzeichnet. Es stellt sich die alte Frage, ob und gegebenenfalls wie mit Verboten etwas erreicht werden kann. Ob die Bestrebungen, vor den europäischen Nachbarn, vor Israel und vor der Weltgemeinschaft als antifaschistische Musterschüler dazustehen, tatsächlich mit den Mitteln des Strafrechtes erreicht werden können, ist eine andere Frage.

Hier sind – was die Vorschrift auch nicht unproblematisch macht – mehrere Grundrechte berührt: Als wichtigstes Grundrecht ist hier in diesem Zusammenhang die Meinungsfreiheit zu betrachten.

Das Landgericht hatte denzufolge sinngemäß gemeint, Hakenkreuz sei Hakenkreuz. Die transportierte Botschaft sei nicht beachtlich, vielmehr bestünde sogar die Gefahr, dass sich dann rechtsextreme Personen selbst dieser Artikel bedienen könnten und damit das Verbot unterliefen. Als würde im Zweifel die Frisur die Botschaft transportieren, die dem Anstecker immanent wäre – je nach Haartracht also Antifa oder aber Neonazi.

Der 3. Strafsenat hat das Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Zur Auslegung des § 86 a StGB hat er ausgeführt, dass der Tatbestand zu weit gefasst ist und der Einschränkung bedarf. Bereits mit seiner in BGHSt. 23 267 [BGH 29.05.1970 – 3 StR 2/70] enthaltenen Auslegung Entscheidung hat der BGH darauf hingewiesen, dass die Gefahr einer Überdehnung des Tatbestandes bestehe. In dieser Entscheidung hat er daher seine Auffassung dahingehend modifiziert, dass eine Kennzeichenverwendung dann aus dem Tatbestand auszuschließen sei, wenn sie dem Schutzzweck des § 86a ersichtlich nicht zuwiderlaufe.

Darüber hinaus war bereits im Gesetzgebungsverfahren die Gefahr der Überdehnung erkannt worden. Anstatt aber selbst tätig zu werden hat der GEsetzgeber die Eingrenzung der Vorschrift im Einzelfall aber der Rechtsprechung überlassen.

In der jetzigen Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation auch dann nicht von § 86 a StGB erfasst wird, wenn bereits der Inhalt der Darstellung in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt.

Dies gilt selbst dann, wenn solche Artikel aus kommerziellen Interessen massenhaft vertrieben werden.

Der vom Landgericht angesprochenen Gefahr, dass die verfassungswidrigen Organisationen sich dann solche „legalen“ Anstecker etc. zulegen könnten, hat der BGH nur theoretischen Charakter zugesprochen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass diese Gegenstände als Verhöhnung der „heiligen Symbole“ aufgefasst werden könnte.

Der Senat hat die Sache selbst abschließend entschieden. Bei den vom Angeklagten vertriebenen zahlreichen Artikeln war – mit einer Ausnahme – eindeutig und offenkundig die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich gemacht worden und daher der Tatbestand nicht erfüllt.

Lediglich bei einer CD-Hülle war die Distanzierung allerdings nicht auf den ersten Blick erkennbar und daher unzureichend. Doch hat der Senat ausgeschlossen, dass dem Angeklagten angesichts der besonderen Umstände insoweit ein entsprechender Vorsatz nachgewiesen werden könne, und ihn insgesamt freigesprochen.

Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06

LG Stuttgart – 18 KLs 4 Js 63331/05 – Entscheidung vom 29. September 2006

13
Mär
07

Das Bundessozialgericht und die Kunst: dieses Mal geht es um Tätowierungen

Dass das Bundessozialgericht sich des Öfteren mit der Frage auseinanderzusetzen hat, was Kunst ist, wurde bereits im Beitrag zum Tango Argentino ausführlich besprochen.

Der Hintergrund ist der, dass die Künstlersozialkasse ein lukrative Möglichkeit der sozialen Absicherung bietet. Es ist aber nicht jedem gegeben, hier auch versichert werden zu können. Hierzu muss man Künstler sein. Wer nun Künstler ist, definiert das Gesetz im § 2 des KSVG:

„Künstler im Sinne dieses Gesetzes ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.“

Folglich muss der Antragsteller Kunst oder Musik schaffen, ausüben oder lehren. Und da beginnen eben die Schwierigkeiten. Wann schafft ein Mensch Kunst, damit er als Künstler gelten kann.

Das Bundessozialgericht zieht hierzu verschiedene Kriterien heran und setzt sie dann in den Kontext des konkreten Falles.

Im jüngst entschiedenen Falle nun hatte der Kläger, nennen wir ihn Herrn T, die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz deswegen begehrt, weil er als selbstständiger Tätowierer tätig war.

Nachdem er zunächst den Beruf eines grafischen Zeichners erlernt hatte, arbeitete er bei verschiedenen Werbeagenturen. Ab 1994 begann er zunächst nebenberuflich zu tätowieren. Nach gut 6 Jahren, im April 2001 konnte er diese Tätigkeit zu seinem Hauptberuf machen. Deswegen stellte er auch schon im März 2001 den Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht.

Die Künstlersozialkasse lehnte ab – ein Tätowierer erbringe keine künstlerischen Leistungen oder Werke – der Fall ging durch die Instanzen.

Herr A musste also dartun, wie er bildende Kunst schaffe. Er argumentierte dahingehend, dass er unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeit des Kunden sich die bildnerische und farbliche Gestaltung dessen Körper überlege und darauf basierend dem Kunden dann Vorschläge unterbreite. Die Motive entwickle und entwerfe er dann völlig frei.

Damit hebt er sich von zahlreichen anderen Tätowierern ab, die nach vorgegebenen Mustern und Schablonen arbeiten.

Das Bundessozialgericht vermochte indes auch hierin keine künstlerische Tätigkeit sehen:

Zwar vermochte das Gericht durchaus die kreative Komponente erkennen. In der Gesamtschau überwog aber die Einordnung des Tätowierens in eine handwerkliche Tätigkeit. Der Schwerpunkt
liege hier auf dem Einsatz manuell-technischer Fertigkeiten, eben Handwerk im weiteren Sinne. Die kreative Komponente tritt in diesem Falle demgegenüber zurück.

Die Folge hiervon war, dass die Revision des Herrn A zurückgewiesen wurde.

Damit ist aber noch nicht endgültig gesagt, dass das Tätowieren keine Kunst sein kann. Das Gericht hat hierzu ausgeführt:

„in Tätowierer wird erst dann zum „bildenden Künstler“ im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes, wenn er mit seinen Arbeiten in Fachkreisen der Kunst Anerkennung erlangt hat.“ Nicht nur, dass es hier in diesem Falle daran fehlte, bedeutet es auch, dass dem Künstler bis zu seiner Anerkennung in Fachkreisen der Schutz der Künstlersozialkasse versagt wird. Dies zu verallgemeinern, erscheint aber durchaus problematisch. Man denke hier nur an einen Musiker, der seine eigenen Werke aufführt, einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt, aber in Fachkreisen abschätzig beurteilt oder gar völlig ignoriert wird. Eine hohe Wertschätzung bei Berufskollegen und Kunden reichte dem Gericht nämlich nicht aus.

Urteil vom 28. Februar 2007 ‑ B 3 KS 2/07 R

09
Mär
07

Bundesarbeitsgericht zur Falschbezeichnung der Beklagten im Kündigungsrechtsstreit

Eine Falschbezeichnung schadet nicht, falsa demonstratio non nocet nannten das schon die alten Römer. Kritisch wird das Ganze aber, wenn es um die Passivlegitimation geht. Das ist die Frage, ob überhaupt der richtige Gegner in der Klageschrift bennant wurde.

Der Klage steht das Rubrum vorne an – auch so eine Errungenschaft aus der Rechtsgeschichte. Im Rubrum stehen die Parteien des Rechtsstreites – in alter Zeit mit rotem Stift geschrieben. Heute in aller Regel schwarz und von einem Drucker zu Papier gebracht – der Name hat sich aber erhalten.

Im Rubrum der Klageschrift steht nun also, wer hier gegen wen einen Prozess zu führen gedenkt. Der Beklagte bekommt dann die Klageschrift zugestellt, damit wird das Ganze rechtshängig. Ist nun der falsche Beklagte benannt, so ist durchaus fraglich, ob es sich hier noch um eine falsa demonstratio handelt – oder ob nicht vielmehr der Prozess alleine deswegen verloren geht, weil die Ansprüche gegen den Beklagten nicht bestehen.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Klagefristen zu beachten sind. Wenn der erste Prozess deswegen verloren ist, kann es für einen gegen den eigentlich richtigen Gegner unter Umständen schon zu spät sein.

In dem vom BAG zu entscheidenden Falle handelte es sich um eine Kündigungsschutzklage. Herr A war seit annähernd 30 Jahren in dem selben Architekturbüro in S. als Architekt angestellt.

Bei der Abnahme von Rohbauarbeiten soll er angeblich Fehler gemacht haben. Dies nahm die Arbeitgeberin zum Anlass, ihm mit Schreiben vom 19.03.2003 fristlos und hilfsweise fristgerecht zu kündigen.

Das Architekturbüro firmierte seit dem Jahre 2001 unter „N. + Partner Architekten“. Sie ist also eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG.

Das Kündigungsschreiben war auf dem Briefbogen mit Briefbogen der Gesellschaft gefertigt worden und war von einem Partner unterzeichnet worden.

Herr A war mit der Kündigung nicht einverstanden und erhob Kündigungsschutzklage – diese ging bereits drei Tage später beim zuständigen Arbeitsgericht ein.

Im Rubrum standen aber als Beklagte die Herren N und M, die Partner der Partnerschaftsgesellschaft.

Das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Teile – und so stellte sich die Frage, ob hier lediglich eine falsche Parteibezeichnung vorlag – falsa demonstratio – oder sich die Klage gegen die Falschen richtete. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung in der Klageschrift ist unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen berichtigt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun hierzu ausgeführt, dass genau und „besonders sorgfältig“ geprüft werden müsse, wer denn nun eigentlich gemeint sei. Ergibt sich in einem Kündigungsrechtsstreit etwa aus dem der Klageschrift beigefügten Kündigungsschreiben, wer als beklagte Partei gemeint ist, so ist eine Berichtigung der Parteibezeichnung regelmäßig möglich. Dies gelte auch, wenn der Arbeitgeber eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG ist und im Rubrum nicht die Gesellschaft sondern nur deren einzelne Partner genannt sind.

Das Arbeitsgericht hat schon im Gütetermin die Parteien darauf hingewiesen, eine Berichtigung der Parteibezeichnung sei seiner Ansicht nach möglich.
Auf diesen richertlichen Hinweis hat der Kläger erstinstanzlich die Rubrumsberichtigung zunächst hilfsweise, später ausschließlich beantragt.

Dies geschah nach Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG.

Das Arbeitsgericht hat sodann das Rubrum durch Beschluss berichtigt und der Klage hinsichtlich der fristlosen Kündigung stattgegeben.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage dann aber wegen Versäumung der Klagefrist insgesamt abgewiesen.

Das Bundesarbeitsgericht ist aufgrund der oben angestellten Überlegungen von einer rechtzeitigen Klageerhebung gegen die Partnerschaftsgesellschaft ausgegangen. Es hat den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit die Kündigungsgründe aufgeklärt werden können.

BAG, Urteil vom 1. März 2007 – 2 AZR 525/05 –
Vorinstanz: Hessisches LAG, Urteil vom 12. August 2005 – 17/10 Sa 2021/03 –

09
Mär
07

Bundesarbeitsgericht zum Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen

Schwerbehinderte Menschen genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Im SGB IX gibt es die Vorschrift des § 85:

㤠85 Erfordernis der Zustimmung

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.“

woraus folgt, dass eine Kündigung dann unwirksam ist, wenn eine Zustimmung nicht vorliegt.

Dies gilt auch für diejenigen Menschen, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Es bestand ein Streit über die Auslegung des § 90 Absatz 2 a SGB IX, insbesondere zu der Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Anerkennung noch nicht vorliegt, der Antrag aber schon gestellt ist:

„(2a) Die Vorschriften dieses Kapitels finden ferner keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.“

Der § 69 Absatz 1 Satz 2 verweist weiter:

„Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Abs. 2), gelten die in § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 sowie Abs. 5 Satz 2 und 5 genannten Fristen sowie § 60 Abs. 1 des Ersten Buches entsprechend.“

§ 14 Absatz 2 Satz 2 beinhaltet nun eine 3-Wochen-Frist:

„Muss für diese Feststellung ein Gutachten nicht eingeholt werden, entscheidet der Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang.“

Satz 4 dieses Absatzes lautet :

„Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen.“

Der Verweis nach Absatz 5 des § 14 ergibt eine Konkretisierung:

„2Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, beauftragt der Rehabilitationsträger unverzüglich einen geeigneten Sachverständigen. 3Er benennt den Leistungsberechtigten in der Regel drei möglichst wohnortnahe Sachverständige unter Berücksichtigung bestehender sozialmedizinischer Dienste. 4Haben sich Leistungsberechtigte für einen benannten Sachverständigen entschieden, wird dem Wunsch Rechnung getragen. 5Der Sachverständige nimmt eine umfassende sozialmedizinische, bei Bedarf auch psychologische Begutachtung vor und erstellt das Gutachten innerhalb von zwei Wochen nach Auftragserteilung“

Unverzüglich heisst – wie immer im Juristen-Deutsch: Ohne schuldhaftes Zögern.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun diesen Streit dahingehend entschieden, dass vom Erfordernis der Zustimmung nur solche Kündigungen erfasst werden, wenn der Antrag auf Anerkennung mindestens 3 Wochen vor der Kündigung gestellt worden ist. Dies gilt auch für von Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer, die den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind.

Im zu entscheidenden Falle hatte die Frau A am 3. Dezember 2004 einen Anrtag auf Gleichstellung gestellt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis am 6. Dezember. Eine Zustimmung des Integrationsamtes wurde nicht eingeholt. Im April 2005 wurde der Antrag rückwirkend zum 3. Dezember positiv beschieden.

Damit war klar, dass Frau A im Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt war.

Gleichwohl – so hat das Gericht jetzt geurteilt – konnte sie nicht den Schutz des § 85 SGB IX für sich beanspruchen, da sie den Gleichstellungsantrag zu spät – eben nur wenige Tage und nicht mindestens 3 Wochen zuvor gestellt hatte. Ein Grund für diese Auslegung hat das Gericht im gesetzgeberischen Willen gesehen, einer missbräuchlichen Erschwerung von Kündigungen zu begegnen.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen ist nach § 85 SGB IX unwirksam, wenn sie ohne Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt.

Vom Zustimmungserfordernis erfasst werden jedoch nur Kündigungen gegenüber solchen Arbeitnehmern, die bei Zugang der Kündigung bereits als Schwerbehinderte anerkannt sind oder den Antrag auf Anerkennung mindestens drei Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt haben (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Auch sie sind vom Sonderkündigungsschutz ausgeschlossen, wenn sie den Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt haben. Dies hat das Bundesarbeitsgericht am heutigen Tage entschieden und damit einen seit längerem bestehenden Streit um die Auslegung des § 90 Abs. 2a SGB IX beendet. Die Vorschrift war ins Gesetz eingefügt worden, um einer missbräuchlichen Erschwerung von Kündigungen zu begegnen.

Es ist eine harte und bittere Wahrheit: Wer sich zu spät auf seine ihm zustehenden Rechte besinnt, verliert unter Umständen den ihm zugedachten Schutz aufgrund eigenem Verschulden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. März 2007 – 2 AZR 217/06 –
Vorinstanz: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Oktober 2005 – 10 Sa 502/05 –

07
Mär
07

Caroline Caroline

Nach der wegweisenden CICERO-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat diese Woche sich der Bundesgerichtshof gleichermaßen mit der Pressefreiheit zu beschäftigen gehabt.
Die bisherige Rechtsprechung, die sich in Jahrzehnten fortgebildet hatte, war durch die Caroline-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 24. Juni 2004 weggefegt worden.

Der BGH musste sich nun mit mehreren OLG-Entscheidungen befassen, die in der Folge dieses Urteils ergangen waren. Wie schon damals war die älteste Grimaldi-Tochter auf der Klägerseite, dieses Mal mit ihrem Ehemann. Dieses ist nicht verwunderlich, gehört die Prinzessin von Hannover doch zu den entscheidensten Vorkämpferinnen für das Rechts auf Privatsphäre im Wettlauf mit den Begehrlichkeiten der Regenbogenpresse und der Bedürfnisse der nicht blaublütigen Bevölkerung an Teilhabe an den Vorgängen der europäischen Fürstenhäuser. Das Landgericht hatte den Klagen im Hinblick auf das des EGMR stattgegeben. Auf die Berufungen der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Schutz der Privatsphäre der Abgebildeten hinter dem mit der Pressefreiheit verwirklichten Informationsinteresse der Allgemeinheit zurücktrete, wenn die veröffentlichte Aufnahme die abgebildete Person in der Öffentlichkeit zeige.

Die spannende Frage, um die es ging, war das Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundrechten: Einerseits die Grundrechte aus Artikel 1 und 2 GG, die Menschenwürde und die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Rechtsprechung hierzu hatte ihren Ausgangspunkt im Herrenreiterfall, in dem in der Begründung sehr schön die dogmatische Herleitung nachzulesen ist.

Auf der anderen Seite steht das Grundrecht aus Artikel 5 : die Pressefreiheit. Diese hat bekanntermaßen zwei Richtungen: Da ist zum Einen die Presse, die zur zur Wahrnehmung ihrer meinungsbildenden Aufgaben darüber berichten darf, was sie berichtenswert hält. Hierbei darf sie keinerlei Zensur unterliegen. Daraus folgt die Befugnis und die Pflicht, nach publizistischen Kriterien selbst entscheiden zu können, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält.

Zum Anderen gibt dieses Grundrecht auch ein Recht auf Information. Die Öffentlichkeit darf daher nicht durch hoheitliche Maßnahmen daran gehindert werden, über das Zeitgeschehen unterrichtet zu werden. Der freie und mündige Bürger kann seine Freiheit nur wahrnehmen, wenn er sich frei und ungehindert über alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse informieren kann und sich dadurch ein eigenes Bild verschaffen kann.

Nachdem sich dieses Spannungsverhältnis nicht grundsätzlich auflösen lässt – zugunsten der Privatsphäre oder zugunsten der freien Presse, bedarf es also der Interessenabwägung.

Die freie und unzensierte Presse muss diese Abwägung in ihrer eigenen Verantwortung wahrnehmen – nur so kann dauerhaft deren Freiheit gesichert werden.

Im diesem Rahmen muss nun das Urteil des EGMR vom 24. Juni 2004 Berücksichtigung finden.

Für den Informationsanspruch der Öffentlichkeit ist es daher von erheblicher Bedeutung, welchen Informationswert die Berichterstattung hat. Dies muss auch bei den so genannten absoluten Personen der Zeitgeschichte beachtet werden.

Das Gericht hat deshalb hierzu ausgeführt:

„Der erkennende Senat hat schon mehrfach ausgesprochen, dass der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer wiegt, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Das muss im Grundsatz auch für Personen mit hohem Bekanntheitsgrad gelten, so dass es auch hier eine Rolle spielt, ob die Berichterstattung zu einer Debatte mit einem Sachgehalt beiträgt, der über die Befriedigung bloßer Neugier hinausgeht. Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall für den Informationswert einer Berichterstattung der Bekanntheitsgrad des Betroffenen von Bedeutung sein kann. In jedem Fall ist bei der Beurteilung des Informationswerts bzw. der Frage, ob es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt, ein weites Verständnis sowie die Einbeziehung der zugehörigen Wortberichterstattung geboten, damit die Presse ihren meinungsbildenden Aufgaben gerecht werden kann, die nach wie vor von größter Bedeutung sind.“

Hieraus folgte nun eine sehr genaue Prüfung anhand dieser ermittelten Maßstäbe, mit der Folge, dass bestimmte Veröffentlichungen rechtens waren. Den anderen Texten war nach Auffassung des Gerichtes keinerlei Beitrag zu einem Thema von allgemeinem Interesse zu entnehmen.

Die Folge hiervon war, dass die zugehörigen Abbildungen in Ermangelung eines objektiven Informationswerts ohne Einwilligung der Abgebildeten unzulässig sind. Konkret waren dies Bilder im Zusammenhang mit der damaligen Erkrankung des Vaters der Klägerin, Fürst Rainier von Monaco. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung des BGH,dass es sich bei dieser Erkrankung es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelte. Folglich durfte die Presse darüber berichten. Zentral ist die Aussage : „Auf den redaktionellen Gehalt und die Gestaltung des Artikels kommt es nicht an, da die Garantie der Pressefreiheit es nicht zulässt, das Eingreifen dieses Grundrechts von der Qualität des Presseerzeugnisses abhängig zu machen. Das gilt auch, soweit der Artikel das Verhalten von Familienmitgliedern während der Krankheit des Fürsten betrifft…“

Exemplarisch nannte das Gericht die Berichterstattung über den Urlaub der Kläger in St. Moritz sowie über eine Geburtstagsfeier und schließlich auch für Abbildungen im Zusammenhang mit einem Bericht über die Vermietung einer Villa der klagenden Eheleute in gleicher Weise.

Urteile vom 6. März 2007: VI ZR 13/06, 14/06, 50/06, 51/06, 52/06, 53/06

LG Hamburg – 324 O 871/04 Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 84/05 – Entscheidung vom 13. Dezember 2005

LG Hamburg – 324 O 870/04 Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 85/05 – Entscheidung vom 13. Dezember 2005

LG Hamburg – 324 O 872/04 Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 87/05 – Entscheidung vom 31. Januar 2006

LG Hamburg – 324 O 873/04 Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 88/05 – Entscheidung vom 31. Januar 2006

LG Hamburg – 324 O 869/04 Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 82/05 – Entscheidung vom 31. Januar 2006

LG Hamburg – 324 O 868/04 – Entscheidung vom 1. Juli 2005 ./. Hanseatisches OLG Hamburg – 7 U 81/05 – Entscheidung vom 31. Januar 2006

06
Mär
07

Bundesarbeitsgericht: Nichtdiskriminierende Ungleichbehandlung von Arbeitskräften aus EU-Mitgliedsstaaten

„Überall macht man es anders – bei uns macht man es so“ – dieses alte Sprichwort verliert im Zuge der europäischen Harmonisierungsbestrebungen immer mehr an Gültigkeit.

Dass eine Ungleichbehandlung trotz Gemeinschaftsrecht rechtens sein kann, musste jetzt ein Lehrer aus Niedersachsen vor dem Bundesarbeitsgericht erfahren.

Mr. A ist Untertan ihrer königlichen Majestät Queen Elizabeth II, also Staatsbürger des Vereinigten Königreiches. An einem College der University of London absolvierte er eine vierjährige Lehrerausbildung. Am Ende dieser Ausbildung wurde ihm ein „Qualified Teacher Status“ verliehen.

Seit dem 1. April 2002 ist er in Niedersachsen als angestellter Lehrer für Englisch beschäftigt. Muttersprachler als Fremdsprachenlehrer haben ja bekanntermaßen einen besonderen Reit. Und außerdem verbindet das Land Niedersachsen und das Vereinigte Königreich einiges: nicht nur, dass hier die farbenprächtigsten Paraden zum Geburtstag der Königin auf dem europäischen Festland abgehalten werden, wurde doch das Königreich Hannover bis ins 19. Jahrhundert in Personalunion vom englischen König regiert.

Diese Verbundenheit hinderte aber das Land nicht daran, Mr. A nur nach BAT IVa zu besolden. Entsprechend dem Eingruppierungserlass des Landes glaubte er, dass ihm eine Besoldung nach der Stufe II a zustehe.

Daher beantragte er, dass seine in England erworbene Ausbildung der Niedersächsischen Lehrerausbildung gleichgestellt werde.

Dieses wurde ihm aber abschlägig beschieden, in den Instanzen blieb er erfolglos, so dass sich schließlich das Bundesarbeitsgericht damit beschäftigen musste.

Im Gemeinschaftsrecht gilt das Gebot, den Arbeitskräften innerhalb der Union Freizügigkeit zu gewähren. Dies ist eine der Grundfreiheiten der EU. Art. 39 Absatz 2 EGV verbietet daher eine Ungleichbehandlung in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Hierzu gehört auch, dass Diplome und andere Befähigungsnachweise in den jeweiligen Mitgliedsstaaten anerkannt werden müssen.

Hieraus resultieren verschiedene Pflichten der Mitgliedsstaaten. Diese sind in verschiedenen Richtlinien der Gemeinschaft konkretisiert worden. Hierzu gehören hauptsächlich Regelungen zum Zugang der Berufe.

Darüber hinaus besteht hiervon völlig unabhängig eine Verpflichtung, dass die Mitgliedsstaaten Anerkennungs- und Prüfungsverfahren für die Ausbildungsnachweise aus den anderen Mitgliedsstaaten schaffen.

Es widerspricht der Grundfreiheit der Freizügigkeit, wenn die berufliche Qualifikation allein aufgrund eines fehlenden nationalen Nachweises verneint werden kann. Vielmehr muss die Problematik dahingehend gelöst werden, dass die ausländischen Qualifikationen mit denen, die nach dem nationalen Recht erworben werden, verglichen werden. Wird bei einem Vergleich eine Gleichwertigkeit der Qualifikation festgestellt, darf deswegen keine Ungleichbehandlung erfolgen.

Im nun zur Entscheidung stehenden Fall wurde nun festgestellt, dass der in England erworbene „Qualified Teacher Status“ nun gerade keine akademische Ausbildung darstelle.

Nach dem Eingruppierungserlass ist für die im Streit stehende Eingruppierung eine akademische Ausbildung erforderlich.

Aus diesem Grunde ergibt der anzustellende Vergleich, dass gerade keine gleichwertige Ausbildung vorliegt. Nur eine Gleichwertigkeit gebietet aber eine Gleichbehandlung.

Mr. A hatte also insgesamt keinen Erfolg. Eine europarechtswidrige Diskriminierung ist nicht zu erkennen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Februar 2007 – 4 AZR 225/06 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 22. November 2005 – 12 Sa 1882/04 E




Rechtsanwalt und Mediator Roland Hoheisel-Gruler

Kanzlei bei der Hedinger Kirche Josefinenstraße 11/1 72488 Sigmaringen Tel.: 07571/52227 FAX: 07571/50285 Zweigstelle Biere August-Bebel-Straße 26a 39221 Biere Tel.: 039297/23370 Fax.: 039297/23371
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